1798 spaziert der weit berühmte Philosoph Immanuel Kant durch Königsberg. Es ist immer derselbe Weg durch seine Geburtsstadt, die er nie verlassen hat, von seinem Haus nahe dem Schloss hinunter zum Fluss Pregel mit Kneiphof und Dom und den sieben Brücken der Altstadt. Der 75jährige Professor an Preußens einziger Universität, dicht zur Grenze desrussischen Zarenreichs, hat vor drei Jahren die Schrift „Zum Ewigen Frieden“ veröffentlicht.
Sie wird einmal die spätere Definition von „Frieden“ als völkerrechtlichen Vertrag und die Charta der UN mitbestimmen. Für Kant ist Frieden kein natürlicher Zustand zwischen den Menschen, er ist fragil, muss immer wieder gegen neue Krieg gesichert werden.
In Vorlesungen und Schriften, so den drei „Kritiken“, revolutioniert Kant das Denken der Aufklärung. Als Anhänger Newtons hat er gelernt, dass der Mensch sich beim Erkennen der Welt diese zugleich neu strukturiert. Kant überträgt Newtons natur–wissenschaftliche Methode in sein Denken von Moral und Ethik und entdeckt dabei moralische Gesetze, die souniversell sind wie die „Gravitationskraft“: der Mensch könne aufgrund einer eingeborenen Matrix so handeln, dass es für alle anderen Menschen moralisch als richtig empfunden werde. Kants „Kategorischer Imperativ“ soll aber kein Tugend-Diktat sein. Er will vielmehr eineuniverselle Anleitung liefern: Menschen sind ökonomisch eigennützig und wollen es immer besser haben. Warum nicht auch ihren Willen zu besseren Taten trainieren?
Es ist Kants Experiment der Freiheit, das bis heute andauert. Nur durch Erkenntnis des Guten gelange man zur Freiheit, meint er. Doch was ist Gut und was Böse? Kant ist Pessimist, was die tatsächliche Besserung von Menschen angeht. Deshalb hofft er, dass eine gerechtere Gesellschaft das Böse im Menschen eingrenzen und damit Frieden schaffen könne. Das macht Kant entgegen dem Ruf, ein pedantischer Gelehrter zu sein, zu einem radikalen Erneuerer. Kants Denken hat die Ideale der modernen Demokratie vorbereitet. Er ist der meistzitierte Philosoph weltweit.
Viele seiner Fragen werden – angesichts von Klimakatastrophe und Krieg in Europa – heute neu gestellt. Doch Kant ist auch umstritten. Parallel zu seiner Ethik formuliert er eine auf dem Selbstverständnis des 18. Jh. fußende Rassentheorie, was heute gegen ihn und die Aufklärung ins Feld geführt wird. Doch in seiner berühmten Friedensschrift macht Kant eine Kehrtwende, kritisiert den Kolonialismus und die rein am Nutzen orientierte Aufklärung und bekennt sich zur Gleichberechtigung aller Menschen. Doch vielleicht wird er für immer allein bleiben auf seinem Spaziergang – in Erwartung des „ewigen Friedens“.